Einladung zur Zeitreise
Veröffentlicht von waltergrafik am
Auszeit
Einladung zur Zeitreise
Im Stift Rein, dem ältesten Zisterzienserkloster der Welt, öffnen sich viele Türen in die Vergangenheit.
Haben Sie gut gefrühstückt?“ – mit diesen Worten empfängt Pater August Janisch am frühen Vormittag die Besuchergruppe und schwärmt von seiner Morgenspeise, dem steirischen Sterz, einer Art Polenta aus Maisgrieß, die „zittrigheiß“ zur kalten Milch gegessen wird. Bis der humorvolle Zisterzienser in diesen Genuss kommt, ist er allerdings schon einige Stunden auf den Beinen. „Ich wache täglich um 5.00 Uhr auf, ohne Wecker, ich habe und brauche keinen“, erzählt der 79-jährige Pater. Er isst einen Apfel, trinkt etwas Wasser, macht seine Morgengymnastik und ‑hygiene und findet sich um kurz vor 6.00 Uhr im Chorgestühl zum Gebet ein. Nach Vigil, Laudes und der Heiligen Messe gibt es dann gegen 7.45 Uhr das Frühstück, zu dem der gebürtige Oststeirer liebend gerne den Sterz, der süß oder pikant angerichtet wird, auf dem Teller hat.
Know-how der Klöster
So gestärkt führt er die Gäste bestens gelaunt und sehr unterhaltsam durch das älteste Zisterzienserstift der Welt. „Im Gründungsjahr des Stiftes in Rein waren zwölf Brüder hier, heute sind wir 13, unser Kloster ist seit 1129 durchgehend aktiv.“ Beim Rundgang mit Pater August werden längst vergangene Zeiten wieder lebendig. Während der Mönch begeistert die aktuellen Ausgrabungen der Archäologen zeigt, die die verschiedenen Putz- und Mörtelschichten aus nahezu neun Jahrhunderten freilegen – „für Forscher wie ein Bilderbuch“ – erzählt er von der Bedeutung der Klöster in der Geschichte. „Es gab ja noch keine Spitäler, keine Berufsschulen, alle Schichten drängten sich früher in die Klöster. Sie waren geistliche Zentren und Bildungsstätten. Die Zisterzienser hatten Wissen in vielen Bereichen – in der Landwirtschaft, dem Weinbau, der Hygiene, sie wussten, wie man Böden urbar macht, Salben und Tees herstellt und Brücken baut.“
Für Forscher wie ein Bilderbuch
PATER AUGUST
Aus diesem Grund holte Markgraf Leopold I. den Orden nach Rein und die Mönche prägen seither die Entwicklung der Steiermark entscheidend. Die tiefe Verwurzelung des Stifts mit der Region lässt sich auch bei einer Besichtigung der barocken Basilika ablesen, deren Inneres in freundlichen warmen Pastelltönen leuchtet. „Alles, was man sieht, stammt von Handwerkern aus der Steiermark“, berichtet Pater August. „Man hat nicht – wie es damals oft der Fall war – Künstler aus Italien geholt. In dieser Geschlossenheit ist das sehr selten und ein Gesamtkunstwerk des Steirischen Barocks.“ Die für die damalige Zeit typische pompöse Ausgestaltung der Stiftskirche erklärt der Mönch so: „Vor 250 Jahren konnten viele Menschen noch nicht lesen und schreiben, man ist nicht weit gereist wie heute. Wenn die Leute in die Kirche kamen, berührten die Schönheit und die Musik ihre Sinne. Der Prunk ist nicht für Gott gemacht, er benötigt ihn nicht, sondern für die Menschen, die dann sagten ‚Im Himmel kann’s nicht viel schöner sein!‘“
Spektakuläres Grab
Die Bibliothek mit ihren wertvollen Handschriften und Büchern, die schönen historischen Säle, die für Empfänge, Tagungen oder Hochzeiten genutzt werden können – Stift Rein hat jede Menge Beeindruckendes zu bieten. Ein besonderes Highlight zeigt Pater August den Gästen in der Marienkapelle. Als man diese vor einigen Jahren renovierte und eine Bodenheizung einbauen wollte, machte man einen Sensationsfund: tief im Erdreich entdeckte man die steinernen Sitzbänke des alten Kapitelsaals und in der Mitte ein Skelett. „Wissenschaftler nahmen die Knochen genau unter die Lupe“, erinnert sich der Zisterzienser. „Es stellte sich heraus, dass es sich um einen Mann handelt, der die halbe Zeit seines Lebens auf einem Pferd verbrachte, also kein Mönch war. Er hatte eine Größe von 1,64 Meter und wurde 52 Jahre alt. Sämtliche Fakten sprechen dafür, dass es die Gebeine von Leopold I., unserem Stifter, sind, der auch der Steiermark den Namen gab.“ Wer Stift Rein besucht, taucht unmittelbar in die Geschichte ein – anschaulich und höchst lebendig.
Bild oben: Spannende Reise: eine Tour mit Pater August durch Stift Rein ist ein Erlebnis.
Themenführungen
Vom „Ersten Kloster Rein“ über die „Schreibstube der Mönche“ bis zur Begehung der mittelalterlichen Wasserversorgung durch den Stollen im Ulrichsberg – auf 14 verschiedenen thematischen Führungen kann man Stift Rein erkunden. Eine spezielle Tour für Kinder führt junge Abenteuersuchende hinter die Klostermauern und lässt sie Geschichten und die Magie alter Bücher erleben – inklusive Abstieg mit Taschenlampe in die Gruft der Mönche.
Die neuesten archäologischen Ausgrabungen, die die ältesten Teile aus der Gründerzeit des Klosters zeigen, sind in einer Ausstellung ab Ende 2022 zugänglich.
Altes Handwerk wiederbelebt
Mit der Sense mähen, Schnitzen, Dengeln oder Kalklöschen – alte landwirtschaftliche und Handwerkstechniken vermittelt das 2021 gegründete Kompetenzzentrum Reiner Handwerk in der frisch renovierten Werkstatt von Stift Rein. „Uns geht es darum, traditionelle Techniken für die heutige Zeit zu adaptieren und altes Wissen weiterzugeben“, so Obmann Bernhard Klusemann. „Willkommen sind alle, die Interesse an altem Handwerk und Kulturgut haben.“ Infos zum Kursangebot unter www.reinerhandwerk.at.
Früher Modefotograf, heute Mönch
Als Pater Martin mit 39 Jahren ins Kloster eintrat, ließ er ein Leben als selbstständiger Werbefotograf für Mode und Architektur hinter sich. „Es war eine Übersättigung von der Welt, aber sie machte nicht satt“, erläutert der Prior von Stift Rein. Die Struktur im Kloster, den stabilen Ablauf des Tages, weiß er sehr zu schätzen. Auch, wenn er heute im Stift täglich mehr Aufgaben zu erledigen hat, als früher. „Hier ist es in der Nacht ruhig und dunkel, ein an sich völlig normaler, natürlicher Zustand, den die meisten Menschen aber gar nicht mehr kennen.“ Immer wieder beherbergt Stift Rein Männer, oft Manager und Unternehmer, die mitten im Berufsleben und in der Öffentlichkeit stehen und für einige Zeit Urlaub im Kloster machen. „Das taugt den Leuten sehr, alles vom Alltag, von den Verpflichtungen bleibt draußen, die Meisten kommen regelmäßig wieder.“